Die deutsche Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG hat durch Gesetzesänderungen und ein jüngstes BFH-Urteil signifikante Entwicklungen erfahren. Erfahren Sie, was dies für Steuerpflichtige bedeutet.
In den letzten Jahren hat sich die Wegzugsbesteuerung in Deutschland gemäß § 6 des Außensteuergesetzes (AStG) zu einem heißen Thema entwickelt. Durch Gesetzesänderungen und ein bahnbrechendes Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) wurden die Regeln für Steuerpflichtige, die Deutschland verlassen, erheblich verschärft. Aber was bedeutet das konkret für Betroffene? Dieser Blogartikel wirft einen detaillierten Blick auf die neuesten Entwicklungen und analysiert, wie diese Änderungen die Steuerlandschaft für Auswandernde verändert haben.
Was ist die Wegzugsbesteuerung?
In den vergangenen Jahren hat die Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 des Außensteuergesetzes (AStG) in Deutschland erhebliche Veränderungen durchlaufen. Entwickelt, um die Besteuerung von Wertsteigerungen an Anteilen von Kapitalgesellschaften bei einem Wegzug aus Deutschland zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber die Bestimmungen wiederholt verfeinert und verschärft. Diese Anpassungen betreffen insbesondere Personen, die Deutschland in Richtung EU-/EWR-Staaten verlassen haben oder planen, dies zu tun. Der Fokus liegt dabei auf den jüngsten Gesetzesänderungen, der Einführung einer „faktischen Ausschüttungssperre“ und einem bedeutenden BFH-Urteil, das Licht ins Dunkel bringt.
Die jüngsten Gesetzesänderungen und ihre Auswirkungen
Ab dem 1. Januar 2022 trat eine überarbeitete Fassung des § 6 AStG in Kraft, die eine umfassendere Anwendung der Wegzugsbesteuerung vorsieht. Diese Änderungen zielten darauf ab, Steuerumgehungsmöglichkeiten zu schließen und sicherzustellen, dass Deutschland seinen „fairen Anteil“ an Steuern auf Wertsteigerungen erhält, die während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht im Land entstanden sind.
Die bedeutendste Änderung war die Abschaffung der dauerhaften, zinslosen Stundung der Wegzugssteuer für Umzüge innerhalb der EU und des EWR, die bis zum 31. Dezember 2021 relativ milde gehandhabt wurde. An ihre Stelle traten befristete Zahlungserleichterungen, die es den Steuerpflichtigen ermöglichen, die Steuerschuld in bis zu sieben Jahresraten zu begleichen. Diese Regelung brachte eine erhebliche finanzielle Belastung für viele Steuerpflichtige mit sich, insbesondere für solche, die keinen sofortigen Liquiditätszufluss aus der Veräußerung ihrer Anteile erwarteten.
Rückwirkende Verschärfungen und die „faktische Ausschüttungssperre“
Kurz vor dem Start ins Jahr 2024 führte der Gesetzgeber weitere Verschärfungen ein, die sogar rückwirkend für Wegzüge bis zum 31. Dezember 2021 gelten. Diese Änderungen erweitern die Möglichkeiten des Finanzamts, die Stundung der Wegzugssteuer zu widerrufen, insbesondere wenn Gewinnausschüttungen oder Einlagenrückgewähr die 25%-Grenze des Wertes der Gesellschaftsanteile überschreiten. Diese Neuregelung schafft eine „faktische Ausschüttungssperre“, die viele Steuerpflichtige in eine prekäre finanzielle Lage bringt, da sie unerwartete Steuerzahlungen auslösen kann.
Der Durchbruch im Fall „Wächtler“: Ein neues Kapitel für die Wegzugsbesteuerung
In einer bemerkenswerten Entscheidung, die das Steuerrecht in Deutschland prägen könnte, hat der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Fall „Wächtler“ am 6. September 2023 (I R 35/20) ein Urteil gefällt, das weitreichende Implikationen für Steuerpflichtige mit sich bringt, die in die Schweiz umziehen. Dieses Urteil, welches auf der früheren „Wächtler“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) fußt, wirft neues Licht auf die Anwendung der deutschen Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG und dessen Vereinbarkeit mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz.
Kernpunkte des BFH-Urteils
Der BFH hat entschieden, dass im Falle eines Wegzugs in die Schweiz, unter Berücksichtigung des bestehenden Freizügigkeitsabkommens zwischen der EU und der Schweiz, eine bis zur tatsächlichen Veräußerung andauernde, zinslose Stundung der deutschen Wegzugssteuer geboten ist. Diese Entscheidung gilt vor allem für alle Wegzüge bis zum 31. Dezember 2021, wobei eine Sicherheitsleistung vom Steuerpflichtigen gefordert werden kann.
Die Ausgangslage und die europäische Dimension
Die Rechtssache nahm ihren Lauf, als Herr Wächtler, der Kläger, 2011 in die Schweiz umzog und vom deutschen Finanzamt zur Wegzugssteuer gemäß § 6 AStG herangezogen wurde. Nach einer langen juristischen Auseinandersetzung, die eine Vorabentscheidung des EuGH einschloss, hat der BFH nun in einer wegweisenden Entscheidung die Bedingungen für die Anwendung der Wegzugsbesteuerung präzisiert.
Was bedeutet das Urteil für Steuerpflichtige?
Für Steuerpflichtige, die in die Schweiz umgezogen sind oder dies planen, eröffnet das Urteil neue Möglichkeiten: Sie können nun eine dauerhafte und zinslose Stundung ihrer Wegzugssteuer bis zum Zeitpunkt des tatsächlichen Verkaufs ihrer Anteile beantragen. Dies stellt eine signifikante Abweichung von der bisherigen Praxis dar und könnte zu einer erheblichen finanziellen Entlastung führen.
Die Bedeutung der Sicherheitsleistung als Stundung
Ein besonders interessanter Aspekt des Urteils ist die Möglichkeit, dass eine Sicherheitsleistung vom Steuerpflichtigen gefordert werden kann. Dieser Punkt verdient besondere Aufmerksamkeit, da er zeigt, dass der BFH eine gewisse Flexibilität in der Handhabung der Stundung zulässt, gleichzeitig aber auch das Risiko für die Finanzverwaltung minimieren möchte. Die genauen Voraussetzungen und die Höhe der Sicherheitsleistung bleiben jedoch eine offene Frage, die in der Praxis zu Unsicherheiten führen kann. Steuerpflichtige sollten daher genau prüfen, unter welchen Bedingungen eine solche Sicherheitsleistung verlangt werden kann und welche Auswirkungen dies auf ihre finanzielle Planung hat.
Zwischenfazit
Dieses Urteil stellt also einige der jüngsten Verschärfungen der Wegzugsbesteuerung in Frage und bietet Steuerpflichtigen, die in die Schweiz umziehen, einen Hoffnungsschimmer. Der BFH entschied, dass die Wegzugssteuer unter bestimmten Umständen bis zum Verkauf der Anteile dauerhaft gestundet werden muss, was eine erhebliche Abweichung von der bisherigen Praxis darstellt.Trotz der spezifischen Anwendung auf Wegzüge in die Schweiz bis Ende 2021, signalisiert das Urteil eine möglicherweise breitere Anwendbarkeit und könnte auch für Wegzüge in andere EU-/EWR-Staaten relevant sein.
Auswirkungen auf zukünftige Gesetzgebung und Rechtsprechung
Das „Wächtler“-Urteil könnte Signalwirkung für die zukünftige Gesetzgebung und Rechtsprechung im Bereich der Wegzugsbesteuerung haben. Es stellt einen wichtigen Schritt in Richtung einer gerechteren Behandlung von Steuerpflichtigen dar, die in den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsabkommens fallen. Die Finanzverwaltung und der Gesetzgeber sind nun gefordert, die bestehenden Regelungen zu überdenken und gegebenenfalls anzupassen, um eine Diskriminierung von Steuerpflichtigen zu vermeiden und die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie des BFH zu erfüllen.
Für Personen, die von der deutschen Wegzugsbesteuerung betroffen sind, ist es wichtiger denn je, die aktuellen Gesetze und mögliche Steuererleichterungen zu verstehen. Das BFH-Urteil bietet einen Ansatzpunkt, um gegen übermäßige Steuerforderungen vorzugehen und eine gerechtere Behandlung zu fordern.
Praktische Schritte für Betroffene
Für Steuerpflichtige, die von der Wegzugsbesteuerung betroffen sind, empfiehlt es sich, aktiv zu werden. Neben dem Antrag auf dauerhafte und zinslose Stundung der Wegzugssteuer sollten Betroffene auch die Möglichkeit einer Sicherheitsleistung in Betracht ziehen und gegebenenfalls rechtlichen Rat einholen, um ihre Position zu stärken. Steuerpflichtige sollten sich nicht scheuen gegebenenfalls Einspruch gegen Steuerbescheide zu erheben, die auf den jüngsten Gesetzesänderungen beruhen.Es ist ratsam, alle verfügbaren Dokumentationen und Nachweise bezüglich des Wegzugs und der Anteile an Kapitalgesellschaften sorgfältig zu sammeln und bereitzuhalten.
Fazit
Die Entwicklungen rund um die deutsche Wegzugsbesteuerung zeigen, wie dynamisch und teils herausfordernd die Steuerlandschaft für international mobile Personen ist. Während die Gesetzesänderungen und das BFH-Urteil neue Komplexitäten und Unsicherheiten mit sich bringen, bieten sie auch Chancen für eine gerechtere Steuerbehandlung. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung und die Gerichte in Zukunft mit diesen Fragen umgehen werden, doch eines ist sicher: Die Thematik bleibt ein wichtiges Feld für Steuerpflichtige und Berater gleichermaßen.
Steuerpflichtige, die von der Wegzugsbesteuerung betroffen sind, sollten die Entwicklungen aufmerksam verfolgen und sich professionell beraten lassen, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden und ihre Rechte voll auszuschöpfen. Denn am Ende des Tages geht es nicht nur darum, Steuern zu zahlen, sondern auch darum, sicherzustellen, dass diese Steuern fair und im Einklang mit den europäischen Grundfreiheiten erhoben werden.
Haftungsausschluss: Der oben genannte Artikel basiert lediglich auf unabhängigen Recherchen von Dr. Werner und Partner und kann keine Rechtsberatung darstellen. Wenn Sie sich mit einem unserer Vertreter treffen möchten, um weitere Informationen zu erhalten, vereinbaren Sie bitte einen Termin mit uns.